„Wir haben gerade eine strategische Pflege-Holding gegründet und wollen eine kleine Pflegedienstgruppe aufbauen und jetzt suchen wir Pflegedienste, die verkauft werden sollen“. Wenn uns vor Jahren derartige Anrufe oder Mails noch irritiert haben, so langweilen sie uns mittlerweile. Sie häufen sich leider und mittlerweile suchen mehr als 120 Investoren bundesweit nach Pflegeeinrichtungen. Die privaten MBI-Interessenten sind hier noch nicht einmal mitgerechnet. Die Pflege ist in den Fokus der Investoren gelangt. Finanzinvestoren und Private Equity Unternehmen konzentrierten sich bis 2015 u.a. auf die IT- und Healthcare Branche (gerne auch kombiniert) und als ich vor 24 Jahren mit der ersten NachfolgeTransaktion befasst war, gab es keine 10 spezialisierten Pflege-Fachinvestoren. Mittlerweile habe ich seit 70 aufgehört mit dem Zählen. Die Pflege hat bei Investoren Begehrlichkeiten geweckt und es geistern üppige Renditen von 8-18 % durch die Branche. Gelegentlich kann man den Eindruck gewinnen, dass Rendite-Gier nicht nur erfinderisch, sondern auch blind macht. Tatsächlich: Eine Geschäftsführerin bzw. Geschäftsführer kann bis 96.000 Euro Jahresgehalt erzielen, aber dies relativiert sich bei einer 55-Stunden-Woche und ethischmedizinischer Letztverantwortung im 24/7 System schnell und dieser Job hört nicht am Freitag um 14:00 Uhr auf, sondern beginnt dann erst richtig mit den Wochenendschichten und der damit verbundenen Personalknappheit.
Viele etablierte ambulante Pflegedienste wurden in den vergangen 30 Jahren von der Baby-Boomer Generation mit Herzblut und unternehmerischen Engagement gegründet und allein in NRW stehen mindestens 200 Träger mittelfristig vor einer Altersnachfolge. Unsere Erfahrung zeigt uns regelmäßig, dass die allermeisten Inhaberinnen und Inhaber ihren Pflegedienst an eine menschlich-fachlich qualifizierte Nachfolgerin oder einen Nachfolger übergeben möchten. Die Bemerkung sei erlaubt: Nur so jemand kann das Team stabilisieren und motivieren und darauf kommt es an. Inhaberinnen und Inhaber haben ihren Pflegedienst vor Jahren mit Leidenschaft, ethischer Grundeinstellung und täglichem Engagement entwickelt und somit ist sehr gut nachvollziehbar, dass sie sich zumindest ein grobes Bild von Käuferin/Käufer gemacht haben. Dieses hat aber nichts mit rein betriebswirtschaftlich orientierten Käufern zu tun.
Nebenbei bemerkt haben wir auch schon Fälle erlebt, dass bei Einstieg eines allein renditeorientieren Investors ein Teil des Teams sofort – nachvollziehbar - gekündigt hat. Über den bewegten Arbeitsmarkt für PDL und examinierte Pflegefachkräfte müssen wir ja an dieser Stelle nicht sprechen. An dieser Stelle ist es sicher auch überflüssig zu sagen, dass das Team den Pflegedienst wesentlich ausmacht. Wer dieses Bewusstsein auch für das Personalmanagement nicht mitbringt, sollte vielleicht einen Handwerksbetrieb erwerben und wird auch dort mit dieser Einstellung scheitern. Wir müssen grundsätzlich Pflege-Fachinvestoren von reinen Finanz-Investoren unterscheiden.
Wir kennen diverse Pflege-Fachinvestoren, die erstklassige Arbeit leisten und wir arbeiten gerne zusammen. Letztlich ist aber entscheidend, was eine Inhaberin bzw. ein Inhaber möchte. Finanz-Investoren, die für einen etablierten rentablen Pflegedienst eine simple „Milchmädchenrechnung“ aufmachen nach dem Motto „Wir nehmen Ihren durchschnittlichen Jahresüberschuss seit 2019 und multiplizieren diesen mit dem Faktor 3,0-4,5“, scheitern oft. Nur ein pflegespezifisches Ertragswertverfahren mit Quererfahrungen aus anderen Pflegedienstverkäufen kann dies leisten. Für die meisten Verkäufer eines Pflegedienstes ist der Verkauf ihres Lebenswerks eine einmalige Angelegenheit in ihrem Leben und sie fühlen sich manchmal Nachfolgekandidaten mit betriebswirtschaftlichem Know-how und Transaktionserfahrung unterlegen. Dafür gibt es allerdings nicht den geringsten Grund. Sie können dies mit einer Beraterin oder einem Berater umsetzen oder dies natürlich auch selbst umsetzen.
Bevor Inhaber den Verkauf aber selbst in die Hand nehmen, sollten sie die Komplexität des Themas und den Umstand bedenken, dass zunehmend „Schnäppchenjäger“ infolge der Zunahme der Verkaufsangebote ab 2023 im Markt unterwegs sind. Zeit ist ein kostbares Gut und gehen sie sorgsam damit um. Außerdem: Noch haben wir einen Verkäufermarkt und dies wird sich so schnell nicht ändern.
Foto: Engin Akyjurt, pixabay
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